Proaktive Unterstützung von Konstruktionsprozessen durch Softwareagentensysteme (ProKon)

Forschungsbereich Methodische Produktentwicklung

Projekt abgeschlossen.

Das Gemeinschaftsprojekt ProKon zwischen dem Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design (IKTD) und dem Institut für Automatisierungs- und Softwaretechnik (IAS), hat ein Agentensystem entwickelt, um den Konstrukteur bei seinen nicht-wertschöpfenden Aufgaben zu entlasten.

Motivation

In der heutigen Produktentwicklung müssen Unternehmen und dementsprechend Konstrukteure vor allem mit zwei Faktoren umgehen: Der Komplexitätsgrad und der Interdisziplinaritätsgrad von Produkten [Krause07, Vajna09]. Der Komplexitätsgrad von Produkten wird nach Ameri et. al [Ameri08, Eckert01, Krause07, VDI04] durch die Anzahl der Elemente in einem System und durch die Anzahl der Beziehungen zwischen Elementen in einem System definiert.

Dies führt bei diesen Produkten konsequent dazu, dass Konstrukteure und Produktentwickler einen höheren Zeitanteil für die Verbesserung und Überarbeitung von Produkten aufwenden müssen [Kraus07, Lindemann09]. Der Grad der Interdisziplinarität führt hauptsächlich zu einem erhöhten Zeitanteil bei der Informationsrecherche bzw. zu deren Bewertung und Umsetzung. Beide aufgeführten Zeitanteile führen zu einem sinkenden wertschöpfenden Arbeitsanteil eines Konstrukteurs oder Produktentwicklers [Franke07, Klein10].

Als Nebeneffekt der Komplexität und der Interdisziplinarität kann u. a. ein sinkender Gestaltungsgrad eines Produkts nach den Design for X-Kriterien (DfX) und ein sinkender Anteil der erfüllten Basisanforderungen an ein Produkt gesehen werden. Mit einem sinkenden Gestaltungsgrad nach den DfX-Kriterien leidet der Effizienzgrad in produktrelevanten Bereichen und somit können steigende Produktkosten die Folge sein [Meerkamm05, Vajna09]. Nach Huber und Schäppi [Huber09, Schäppi05] sind der sinkende Anteil der erfüllten Basisanforderungen an ein Produkt schließlich für eine sinkende Produktqualität verantwortlich.

Problemstellung

Folgende Problembereiche konnten identifiziert werden:

  • Sinkender Zeitanteil zur Verbesserung und Überarbeitung von Produkten
  • Sinkender Zeitanteil zur Informationsrecherche, -bewertung und -umsetzung
  • Sinkender Gestaltungsgrad eines Produkts nach den Design for X-Kriterien
  • Sinkender Anteil der Basisanforderungen an ein Produkt

Hypothese und Zielsetzung

Für die Lösung dieser Problemstellungen existieren vielfältige Möglichkeiten, die bereits in den unterschiedlichsten Projekten und Promotionsvorhaben untersucht wurden. Unser Lösungsansatz ist es, ein wissensbasiertes System zu verwenden, das den Konstrukteur unterstützt, dabei im Hintergrund arbeitet und proaktiv vorgeht. Der wirkliche Unterschied zu den bisherigen Vorhaben ist die Verwendung eines agentenbasierten Systems (Agentensystem oder auch Multiagentensystem genannt). Diese Möglichkeit zur Lösung der diskutierten Probleme wurde noch nicht in Betracht gezogen und bildet den Ansatz für unser Forschungsvorhaben. Folgende Abbildung gibt einen Überblick über die grundsätzliche Hypothese und die Übertragung dieser auf beide Institute:

Bild 1: Hypothesen und abgeleitete Zielsetzungen der Institute im ProKon-Projekt
Bild 1: Hypothesen und abgeleitete Zielsetzungen der Institute im ProKon-Projekt

Aktueller Stand des Projekts

Das Agentensystem wurde mit JAVA programmiert und im Agentenentwicklungsframework JADE entwickelt. Es besteht aus zwei unterschiedlichen Agentenklassen, die jeweils unterschiedliche Rollen bzw. Funktionalitäten besitzen:

  • CAD-Agenten: Betreuen jeweils ein Bauteil, eine Verbindung oder eine Baugruppe im CAD-Modell, besitzen Daten und Informationen über das jeweilige Objekt und geben diese Daten und Informationen auf Anfrage weiterer Agenten weiter. Des Weiteren registrieren die CAD-Agenten Änderungen an ihrem Objekt und leiten diese an den Management-Agenten weiter.
  • Management-Agenten: Wurden weiter aufgeteilt in einen Management-Agent, mehrere Aspekt- und mehrere Fachagenten. Der Management-Agent nimmt die Nachrichten der CAD-Agenten auf und leitet, wenn nötig, eine Konsistenzprüfung ein, die von den Aspekt- und Fachagenten durchgeführt wird. Liegt eine inkonsistente Konstruktion vor, so wird von den Aspekt- und Fachagenten eine Lösung erarbeitet.

Bild 2 gibt eine Übersicht über die Struktur des Agentensystems.

Bild 2: Struktur des Basissystems
Bild 2: Struktur des Basissystems

Das Agentensystem ist wie herkömmliche wissensbasierte Systeme zum einen wissens-intensiv und zum anderen wissens-sensitiv. Wissens-intensiv bedeutet, dass das Agentensystem eine kritische Masse an Wissen besitzen muss, um zu funktionieren. Wissens-sensitiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine kleine Änderung in der Wissensbasis eine große Änderung in der Funktionalität des Unterstützungssystems hervorruft. Zur Lösung der Probleme wurde vom IKTD zum einen eine generische Vorgehensweise zur Entwicklung von agentenbasierten Unterstützungssystemen in der Konstruktion und zum anderen ein Wissensmodell zur erstmaligen Integration von Konstruktionswissen entwickelt. Bild 3 zeigt die generische Vorgehensweise.

Bild 3: Modellbasierte Vorgehensweise
Bild 3: Modellbasierte Vorgehensweise

Das Wissensmodell in dieser modellbasierten Vorgehensweise ist für die Modellierung des Wissens zuständig. Das Konstruktions- und Produktentwicklungswissen ist nach der Fertigstellung des Modells in einer expliziten und formalen Darstellung vorhanden und dient als Grundlage bei der letztendlichen softwaretechnischen Umsetzung des Systems. In Bild 4 wird auf der linken Seite die Funktion des Wissensmodells definiert und auf der rechten Seite zeigt es die Vorteile einer modellhaften Beschreibung von Wissen.

Bild 4: Funktion des Wissensmodells (links) und Vorteile (rechts)
Bild 4: Funktion des Wissensmodells (links) und Vorteile (rechts)

Ausgehend von der Funktion des Wissensmodells wurden vier grundlegende Einflussfaktoren erarbeitet, die bei der Erstellung des Modells beachtetet werden müssen. In Bild 5 sind die Einflüsse grafisch zusammengefasst worden.

  • Konstruktionswissen (Ausgangssystem): Bei den einzelnen Phasen des Knowledge Engineerings spielt die Strukturierung von Konstruktionswissen eine erhebliche Rolle. Die Erhebung von Konstruktionswissen ist abhängig von den Wissensarten, also ob explizites oder implizites Wissen in den entsprechenden Wissensquellen vorliegt. Die Wissensrepräsentation gestaltet sich dem gegenüber je nach verwendeten Wissenstypen (z. B. Zielwissen, Umweltwissen, Strategiewissen) und verwendeten Wissensformen (Regeln, Formeln etc.) unterschiedlich.
  • Methoden des Knowledge Engineering und Knowledge-based Engineering: Die Modellierung des Wissensmodells kann als Prozess mit definierten Eingangs- und Ausgangszuständen bzw. mit einer jeweiligen Prozessformulierung aufgefasst werden. Für die Modellierung bilden die bereits angesprochenen Methoden des Knowledge Engineering die Grundstruktur des Wissensmodells. Das Wissen muss ausgehend von den Wissensquellen (Fachbücher, Normen, Konstrukteure) erhoben, analysiert, informal repräsentiert und schließlich formal repräsentiert werden. Nach jedem Prozessschritt sollte ein definierter Wissenszustand als Ausgangszustand vorliegen, der für den nachfolgenden Prozessschritt als Eingangszustand verwendet werden kann. Des Weiteren muss bei der Integration von Konstruktionswissen durch das Wissensmodell das zu überprüfende Produktmodell und die dafür notwendige Schnittstelle beachtet werden. Produktmodelle beinhalten je nach Komplexitätsgrad neben der geometrischen Beschreibung des Produkts auch semantische Informationen.
  • Modellbasierte Vorgehensweise zur Entwicklung von wissensbasierten Agentensystemen: Im ProKon-Projekt besteht das Agentensystem aus zwei unterschiedlichen Klassen von Agenten (CAD-Agenten, Management-Agenten), die unterschiedliche Funktionalitäten besitzen. Es soll jedoch mit dem Wissensmodell ein generischer Ansatz präsentiert werden. Aus diesem Grund wird nicht in unterschiedliche Agenten bzw. Agentenklassen unterschieden, sondern nur in die letztendliche Funktionalität der Agenten bzw. in Rollen. Um den Einfluss dieses Agentenmodells  zu integrieren, kann davon ausgegangen werden, dass für jede Agentenklasse eine unterschiedliche Wissensstruktur verwendet werden muss. Da das Agentenmodell bereits die beiden vorherigen Modelle Organisationsmodell und Aufgabenmodell implizit enthält, werden diese bei dieser Betrachtung vernachlässigt.
  • Wissensverarbeitung im agentenbasierten Unterstützungssystem (Zielsystem): Neben der Agentenfunktionalität, die in der generischen Vorgehensweise modelliert wird, spielt die Wissensverarbeitung der Agenten im Zielsystem eine entscheidende Rolle. Im Kontext des Ziel-, Umwelt- und Strategiewissens muss im Wissensmodell bereits festgelegt werden, mit welchen Formalismen das Konstruktionswissen im Zielsystem abgelegt werden muss, so dass die Agenten ihre zugewiesene Funktion erfüllen.
Bild 5: Einflussfaktoren auf das Wissensmodell
Bild 5: Einflussfaktoren auf das Wissensmodell

Zuletzt wurde mit Hilfe der Einflussfaktoren ein generisches Wissensmodell erarbeitet, das für die Modellierung von Konstruktionswissen zur Integration in agentenbasierte Unterstützungssysteme geeignet ist. Das Wissensmodell teilt hierbei in vier Phasen auf. Die Wissensstrukturierung hat das Agenten- und Architekturkonzept als Eingangsgröße. Zunächst wird dort das Wissenskonzept erarbeitet. Dieses legt fest welche Agentenrollen welches Wissen zugewiesen bekommen und wie dieses Wissen intern zusammenhängt. Anschließend wird der von Roth (Link zu PDK_Bench) erarbeitete Strukturierungsansatz verwendet, um aus den Agentenrollen Wissensorte zu erarbeiten, in denen das Wissen zu Erbringung der Funktionalität vorliegt. An die Wissensstrukturierung schließt sich die Wissenserhebung an. Dort werden die in in der ersten Phase erarbeiteten Wissensorte identifiziert und strukturiert. Anschließend erfolgt, je nach zu erhebender Wissensart, eine Exzerpierung oder die Wissenserhebung mittels Interviews. Das Wissen muss im Folgenden aufbereitet und in eine Wissensdatenbank (z. B. Citavi) eingepflegt werden. Diese dient als Eingangsgröße für die Wissensanalyse und die informale Wissensrepräsentation. Der Wissensingenieur soll sich mit der Erstellung eines semantischen Netzes zunächst einen groben Überblick über die Wissensdomäne schaffen. Weiterhin soll ein ProKon-Knowledge-Form-Konzept (PKF) erarbeitet werden. PKF sind an die im MOKA-Projekt erarbeiteten ICARE-Forms angelehnt und speichern Wissen in einer informalen Art und Weise. Hierbei wird es bereits in unterschiedliche Wissensformen eingeteilt und der Wissensingenieur erhält bereits einen Überblick, wie und wo das Wissen später gespeichert werden soll. Des Weiteren werden den unterschiedlichen Wissenselementen Agenten zugewiesen. Das Resultat dieser Phase stellt die PKF-Datenbank dar. In der formalen Repräsentation wird das Wissen aus der PKF-Datenbank in eine formale Repräsentation umgewandelt.

Bild 6: Struktur des Wissensmodells
Bild 6: Struktur des Wissensmodells

Ergebnisse

In der ersten Projektphase wurde ein lauffähiger Prototyp erarbeitet, der bisher noch mit einem behelfsmäßigen CAD-System gekoppelt ist. Der Prototyp ist aktuell in der Lage, bei einem einfachen Anwendungsszenario (Welle-Nabe-Verbindung)

  • das CAD-Modell auf Inkonsistenzen entsprechend verschiedener Gestaltungsrichtlinien (DfX-Kriterien) zu überprüfen,
  • bei Vorliegen von Inkonsistenzen eine Lösung zu finden und
  • diese Lösung umzusetzen.

Demonstration des ProKon-Systems

Quelle: YouTube

Literatur

[Ameri08] Ameri, F.; Summers, J.; Mocko, G.; Porter, M.: Engineering design complexity: an investigation of methods and measures. In: Research in Engineering Design (2008), Nr. 19, S. 161-179
[Eckert01] Eckert, C.; Clarkson, P. J.; Zanker, W.: Change and customisation in complex engineering domains. In: Research in Engineering Design 15 (2001), S. 1-21
[Franke07] Franke, H.; Gausemeier, J.; Krause, F.: Innovationspotentiale in der Produktentwicklung. München: Hanser, 2007
[Huber09] Huber, F.; Herrmann, A.; Braunstein, C.: Der Zusammenhabng zwischen Produktqualität, Kundenzufriedenheit und Unternehmenserfolg. In: Kundenorientierte Unternehmensführung: Kundenorientierung - Kundenzufriedenheit - Kundenbindung. 6. Aufl. Wiesbaden: Gabler Verlag, 2009
[Klein10] Klein, T.: Auf Sinnsuche: Wie semantische Technologien den Arbeitalltag erleichtern. In: Innovationsmanager (2010), Nr. 9, S. 74-75
[Meerkamm05] Meerkamm, H.; Koch, M.: Design for X. In: Clarkson, J.; Eckert, C. (Hrsg.): Design Process Improvement: A review of current practice. London: Springer-Verlag, 2005, S. 306-323
[Lindemann09] Lindemann, U.: Komplexität in Entwicklung und Konstruktion. In: Konstruktion (2009), Nr. 5, S. 3
[Schäppi05] Schäppi, B.: Handbuch Produktentwicklung. München: Hanser, 2005
[Vajna09] Vajna, S.; Bley, H.; Hehenberger, P.; Weber, C.; Zeman, K.: CAx für Ingenieure: Eine praxisbezoge Einführung. 2. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer, 2009
[VDI04] VDI 2006: Entwicklungsmethodik für mechatronische Systeme. Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Berlin: Beuth Verlag, 2004

Partner

Ansprechpartner

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Daniel Roth

Dr.-Ing.

Leiter Finanzen und Verwaltung;
Stlv. Leiter Konstruktionstechnik;
Gruppenleiter Methodische Produktentwicklung

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